Aus Bodenbach im Sudetenland stammend, erlebte Erhard Ernst Korkisch die alliierten Luftangriffe und die Zerstörung Dresdens als Kruzianer, also Mitglied des weltberühmten Dresdner Kreuzchores, im Luftschutzkeller seiner Schule sowie im Lazarett auf Neustädter Seite.
Im Frühjar 1944 war ich mit drei weiteren gleichaltrigen Kameraden, noch nicht zehnjährig, zur Aufnahme im Dresdner Kreuzchor in wöchentlichen Kursen bei der Gesangspädagogin Frau Lange-Frohberg schon mit Dresden vertraut geworden. Wir vier wurden außerhalb des normalen Aufnahmeverfahrens nach der Sommerpause für den regulären Schul- und Konzertbetrieb als Auswärtige im Alumnat der Kreuzschule (am Beginn der Bürgerwiese) übernommen.
Es waren dies Dieter Sachse aus Bad Schandau, Rolf Müller aus Heidenau und Siegfried Lösche aus Bischofswerda. Am 7. Oktober 1944 hatte uns bereits ein amerikanischer Luftangriff einen gelinden Schrecken eingejagt, als bei der Bombardierung des Dresdner Industriegebietes im westlichen Vorstadtbereich auch im nahegelegenen Schauspielhaus ein verirrter Bombenschlag erfolgte.
Danach glaubte man sich im Innenstadtbereich doch wieder sicher und verdrängte diesen Vorfall. Schule und die täglichen Konzertproben unter unserem hochverehrten Prof. Rudolf Mauersberger liefen ungestört und unvermindert weiter, so daß erst die Flüchtlingsströme aus dem schlesischen Kampfgebiet den Ernst des Kriegsgeschehens deutlich machten.
Am 13. Februar 1945 wurden wir abends wegen eintreffender Flüchtlingszüge zur Hilfeleistung am Hauptbahnhof ca. 21.30 Uhr zum Abmarsch vor der Kreuzschule zusammengestellt. Alarmsirenen verhinderten den Aufbruch und ließen uns nur noch die grüne Lichtkugel und weiße Lichtertrauben in Form von Christbäumen den Himmel über uns und die Umgebung gespenstisch erhellt sehen, worauf wir sogleich zum Keller der Schule zurückbeordert wurden.
Der Zusammenhang wurde uns dann bewusst, als bald darauf das erste Bombardement mit Brandbomben und Luftminen einsetzte. Eine dieser Luftminen explodierte im Hof unweit unseres Kellers und warf mich in Sekundenbruchteilen in das entgegengesetzte Raumeck ohne dass ich erfassen konnte, wie ich dahinkam.
Da das folgende Szenario des Feuersturmes nach Ende des Angriffs keine chance für Löscharbeiten ließ, sollten wir unsere Kleider mit Löschwasser nässen, um unbeschadet vom Funkensturm das lichterloh brennende Haus in Richtung Bürgerwiese und Großer Garten unter Führung des Alumnatsleiters Gebauer zu verlassen. Angesichts der höllengleichen Feuer- und Funkenmasse was das ca. zehn der Jüngsten, auch mir, viel zu bedrohlich, sodaß wir mit ungefähr gleichviel aufgetauchten Erwachsenen, die ebenso Schutz suchten, wieder dem „sicheren“ Keller zuströmten.
Hier erlebten wir den zweiten Großangriff nach Mitternacht gegen 0.30 Uhr als, am entfernten geschlossenen Motorenklang zu hören, eine Fliegermasse das Vernichtungswerk mit Sprengbomben fortsetzte.
Auch in unserem Schulgebäude schlugen mehrere Bomben ein, deren Explosion, trotz dreier Stockwerke über uns, sehr nah klangen und die den Großteil des Hauses mit den öffentlichen Luftschutzkellern zum Einsturz brachten.
Das Nordwesteck mit dem Keller, in dem wir uns befanden, blieb aber erhalten. Eindringendes Kohlenmonoxid hielt jedoch aich hier seine Ernte.
Die Mutter meines Mitschülers Dieter Sachse hatte sich mit ihrem Mann von Bad Schandau aus per Rad über Nacht bin in die Dresdner Vorstädte und weiter bis zur Kreuzschule durchgeschlagen und mit Hilfe von militärischen Räumkommandos am Morgen den ihr bekannten Kellerzugang zur steinernen Wendeltreppe freilegen lassen, wodurch ich noch lebend zuerst mit dem toten Helfried Bobe geborgen wurde, vorbei an unserer lieben Küchenhilfe, die tot ausgestreckt auf dem Fliesenboden des Erdgeschosses lag. Man hatte uns nebeneinander in der Eingangsarkade niedergelegt. Dieter Sachse hatte sich nachts einer der flüchtenden Gruppen um den Alumnatsleiter angeschlossen.
Da ich nicht mehr stehen konnte – ein Toter lag bis zum Morgen über meinem rechten Oberschenkel, wodurch die Blutzirkulation unterbrochen und mir keine Bewegung möglich war – nahm mich ein vorbeifahrender offener Feldwagen auf und brachte mich, vorbei an den entlang des Neuen Rathauses aufgeschichteten, teils schwarzen zusammengeschrumpften Leichenmassen, über die Carolabrücke in ein bald erreichtes Krankenhaus in der Neustadt.
Dort erlebte ich den dritten Großangriff kurz nach Mittag gegen 12.20 Uhr, als vom gleichen entfernten drohenden Motorenton wie nachts begleitet, eine Reihe von Bombenexplosionen folgte. Unmittelbar danach waren aus Westen kommend etwa in Kirchturmhöhe Flugzeuge zu hören, wobei auch unser Krankenhaus etwa fünfmal überflogen wurde, bevor ein vernichtender Treffer das Gebäudeende zum Einsturz brachte.
Überflug und Bombeneinschlag folgten unmittelbar aufeinander.
Diese Flugzeuge waren offenbar mit Bomben ausgerüstet, den man hörte im Umkreis eine Reihe von Einschlägen. Die mit dem Roten-Kreuz-Zeichen auf den Gebäudedächern kenntlich gemachten Kliniken und Lazarette waren hier kein Hindernis für gezielte Angriffe.
Zu diesem Zeitpunkt war ich wieder gehfähig, was jetzt alles Übrige leichter ertragen ließ. Der Umsicht einer Krankenschwester verdanke ich die Vermeidung einer bereits vorgesehenen Beinamputation, indem sie beharrlich mit Wechselbädern die Blutzirkulation wieder in Gang gebracht hatte. Ihre Zuwendung bleibt mir in steter Erinnerung.
Das vielleicht provisorische Lazarett konnte ich jetzt nach 61 Jahren nicht mehr identifizieren. Es stand wohl in dem Bereich, der zwischen Albert- und Hauptstrasse neu aufgebaut wurde. Damals nahm mich im dichten Rauch vor der Klinik ein plötzlich auftauchender Offizier nach Anfrage, wohin ich wolle, bei der Hand und hastete mit mir über die Carolabrücke zurück, vorbei an den inzwischen wohl von Flammenwerfern eingeäscherten Leichenbergen am Neuen Rathaus, die zu Aschenflächen geworden waren, aus denen nur vereinzelt dünne Beinknochen herausschauten.
An der Kreuzschulruine angekommen, konnte ich meinen Koffer aus dem freigelegten Kellerteil retten, in den in der Hast des Vorabends nur ein Schlafanzug und das Weihnachtsgeschenk eines Plastik-Gurgelbechers hineingelegt war. Hier traf ich unseren besorgten Alumnatsleiter, der nach den in der Nacht Zurückgebliebenen suchen wollte. Von diesen waren fünf im Keller zu Tode gekommen. Zwei weitere Alumnen kamen nach seiner Aussage in der nächtlichen Flucht durch den Großen Garten in zweiten Großangriff ums Leben. Elf Namen sind auf einer Schrifttafel in der Kreuzkirche festgehalten, darunter mein Schulfreund Helfried Bobe, der mit mir im Keller und zuletzt in der Arkade lag.
Die Begegnung mit Alumnatsleiter Gebauer ermöglichte mir ein Unterkommen in seiner Vorortswohnung südlich der Technischen Hochschule.
Als nach einer Woche ide Zugverbindung zur Heimatstadt Bodenbach wiederhergestellt war, hatten auch meine Eltern diese Verbindung genutzt, um nach meinem Verbleib in Dresden verzweifelt zu suchen.
Auf der Rückfahrt fuhren wir ohne Wissen voneinander im gleichen Zug. Erst daheim trafen wir zu später Stunde beglückt zusammen. Bei meinem Läuten rief mein Bruder aus dem Wohnraum mit Bestimmtheit – die Eltern sprechen gerade von der erfolglosen Suche – „das ist Erhard!“
Eine Rückkehr anlässlich des Wiederaufbaues des Chores, für den sehr bald von Prof. Mauersberger aufgerufen wurde, war mir vom Kriegsende und der im Juni 1945 einsetzenden „wilden Vertreibung“ aus dem Sudetenland verwehrt.
Erhard Ernst Korkisch, ehem. Kruzianer, Augenzeuge
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