Ursula und Heinz Wünsche, Jahrgang 1920 / 1921, erlebten die Angriffe im Stadtteil Dresden-Plauen.
Ursula Wünsche
Wenn ich zum Angriff auf Dresden berichte, so muss ich ein bisschen vorher anfangen. Die Schwester meiner Mutter wurde in Bayern komplett ausgebombt und kam 1944 mit zwei Söhnen nach Dresden zu ihrer Schwester. Unsere Wohnung hatte also schon „drei plus“. Damit nicht genug. Breslau wurde geräumt und die Cousinen meiner Mutter kamen mit einem Kind zu uns. Es waren also allerhand Menschen in unserer Wohnung versammelt. Ich war kurz vorher ausgeflogen worden und lag in Dresden in einem Krankenhaus. Mein Bruder war in Itzehoe auf der Kadettenanstalt. Mein Vater war noch an der Front.
Der Abend war an und für sich wie immer. Wir saßen am Abendbrottisch und dann kam die Meldung. „Achtung, Achtung! Bomberanflug auf Dresden, es muss mit einem Angriff gerechnet werden. Die Bevölkerung wird gebeten sofort die Luftschutzräume aufzusuchen“. Da Plauen ein Außenbezirk von Dresden ist, haben wir uns an und für sich in Sicherheit gewogen. Das war verkehrt. Den ersten Angriff verbrachten wir dicht gedrängt im Luftschutzkeller. Ich muss dazu sagen, wir hatten ein großes Geschäft und die beiden großen Schaufenster waren nach dem Angriff natürlich eingedrückt, die Rollläden verbogen, der ganze Boden voll Glassplitter. Und der deutsche Hausfrauenwahnsinn zwang uns, das alles erst einmal wieder in Ordnung zu bringen. Es war ja vorbei, so dachten wir. Aber nichts war vorbei. Der zweite Angriff erfolgte in einer Weise, die man heute nicht mehr nachvollziehen kann. Es gab keine Sirenen, es gab keine Warnungen. Die Bomber waren da. Die Christbäume standen am Himmel, taghell. Es war alles erleuchtet. Und dann folgten die Bomben. Das Schlimme war, dass meine Tante mit ihren Kindern und die beiden Cousinen mit dem Kind losrasten. Sie rasten hinaus, wollten draußen verrecken aber nicht unter Trümmern verschüttet sein. Und meine Mutter ging auch. Ich war ganz allein. Ich habe den Angriff zusammengeduckt an der Mauer der Weißeritz erlebt. Eingekuschelt, ganz eng an die Mauer gedrückt habe ich alles gesehen. Wie der Feuersturm kam, wie die Funken waagerecht flogen, wie die Häuser abbrannten. Bebauung gab es bei uns jeweils nur auf einer Seite, dazwischen war das Wasser. Als ich wieder hochkam hatten wir nichts mehr. Das was wir gerade gemacht hatten war sinnlos gewesen, denn das Haus stand nicht mehr. Es brannte von oben nach unten durch in einer Geschwindigkeit, die man sich nicht vorstellen kann. Ich galt also als total ausgebombt.
Das was ich auf dem Leib hatte konnte ich nicht mehr verwenden. Mein Mantel war voller Brandlöcher, Schuhe und Strümpfe waren weg. Ich hatte nur noch mich, so wie ich war. Ich habe dann später vom Hilfszug Dr.Goebbels eine Männerturnhose und ein Männerturnhemd bekommen als notdürftige Bekleidung. Und wir haben zu Essen bekommen. Wir bekamen wirklich gut geschmierte Brote, damit wir überleben konnten. Ich habe mich dann bei meiner Tante und bei meinem Onkel auf der Reckestrasse in Dresden-Plauen in Sicherheit gebracht. Meine Tante hatte ihre Mutter aus Köln in Dresden untergebracht weil Dresden ja als sichere Stadt galt, die nicht angegriffen wird. Wir hatten kaum Splittergräben, wir hatten keine offiziellen Bombenkeller. Es gab nichts wo sich Menschen hätten in Sicherheit bringen können. Garnichts. Und meine Tante bat mich nach ihrer Mutter zu sehen. Ich hatte einen Morgenmantel von meinem Onkel an. Mit dem bin ich durch die Stadt gelaufen. Am Hauptbahnhof waren links und rechts die Leichenberge aufgetürmt. Ich bin nicht groß, etwa 1,60 Meter, aber ich konnte gerade so hochlangen. Links und rechts lagen nun die Toten und es verbreitete sich ein unbeschreiblicher Geruch. Ein fürchterlicher Geruch, der mich wochenlang verfolgt hat. Süßlich, faulig – es war furchtbar. Ich bin weiter gegangen und kam dann tatsächlich an. Inmitten der Trümmer fand ich einen kleinen Trampelpfad, Menschen waren vor mir gegangen, gekrochen, geklettert – ich auch. Auf der rechten Seite kniete ein Mann, die Hände vorm Gesicht, das linke Bein ausgestreckt. „Oh Gott“, dachte ich, „Der hat jemanden gefunden, da musst du hin“. Nein, er war tot! Und die Luftmine – es muss eine Luftmine gewesen sein – hatte den gesamten Darmsack aus dem After getrieben, er hing wie eine riesengroße grünlich-bläulich schimmernde Beule hinter ihm. Es war furchtbar, es war ganz furchtbar. Ich habe Tote gesehen, dass man es gar nicht mehr erfassen kann. Später waren sie auf dem Altmarkt dabei, mit Flammenwerfern die Leichen zu verbrennen. Aber was bis jetzt niemand gesagt hat, die Soldaten bzw. Angehörige des Militärs waren dabei den Toten zur Identifikation die letzten Dinge abzunehmen, die noch vorhanden waren. Ohrringe, Ketten, Ringe, Uhren. Es war ein Wassereimer der voll war. Das sind meine Erlebnisse an den Krieg und ich vergesse nichts. Wir sind nach 1945 jeden 13.Februar schweigend zur Ruine der Frauenkirche gelaufen. Wir haben dort gestanden, das Wetter mochte sein wie es wollte, still – haben unsere Kerzen entzündet und auf das Läuten der letzten Glocken gewartet. Das war eine Sache die sehr unter die Haut ging und ich hoffe, dass es auch weiterhin ein würdevolles Erinnern bleibt, ein würdevolles das wir den Toten schuldig sind!
Heinz Wünsche
Ich wohnte ebenfalls in Dresden-Plauen und war 1945 als Kriegsbeschädigter bereits in der Heimat. Ich habe die Bombenangriffe, wie hier in Dresden, vorher schon in Hamburg und Braunschweig miterlebt. Da ich bei der kämpfenden Truppe gedient hatte, konnte ich die Angriffe anders erwarten und sehen als die Zivilbevölkerung. Als die Meldung kam, dass Dresden angeflogen wird, habe ich meine Mutter und meine Geschwister geweckt und ihnen gesagt, sie sollten in den Luftschutzkeller gehen. Ich habe alle Bewohner in den Luftschutzkeller geschickt und obwohl schon die Christbäume gesetzt waren und man die ersten Anflüge der Bomber hörte, konnte ich sie einigermaßen beruhigen. In der Tharandter Straße, vielleicht 200 Meter entfernt, war eine Luftmine detoniert und hatte einen Teil der Häuser beschädigt. Unser Haus war an einem Block von vier Gebäuden direkt an der Weißeritz und der erste Angriff hatte bei uns lediglich die Scheiben zerborsten, was mich zu der Meinung veranlasste, es sei so schlimm nicht gewesen. Doch dann kam der zweite Angriff.
Während des Angriffes – die Bomben flogen schon und das Haus meiner Frau war schon getroffen – holte ich noch viel für meine Schwester aus den Schränken, was sie sich mit ihrem kargen Lohn als Aussteuer angeschafft hatte. Da sah ich nun die Bomber am Himmel ziehen und war außer mir, dass wir dem nun gar nichts entgegen zu setzen hatten, weder Flak noch Jagdflugzeuge. Ich habe es nicht erlebt, dass irgendwo einmal die Flak einen Schuss abgegeben hätte. Es war kein Widerstand festzustellen. In unseren Block mit den Nummern 2, 3, 4 und 5 war Phosphor gefallen und jetzt brannten von dieser Seite die Häuser aus. Wir hatten in jeder Etage unseres Hauses eine Wanne mit Wasser stehen. So habe ich eine Decke in das Wasser gestülpt, habe sie mir über Mantel und Hut gezogen und bin so durch die horizontal fliegenden Funken des Brandes gelaufen. Nachdem die Leute, die Hausbewohner im Keller, alles das über sich ergehen ließen, stieß ein Mann zu uns der von der Nachtschicht kam. Er sagte „Um Gottes Willen, ihr seid noch hier drin? Ringsum brennt es!“. In diesem Moment war es natürlich mit der Ruhe vorbei. Die Kinder fingen an zu weinen und die Menschen wurden unruhig. Nachdem ich zuvor jemanden gesucht hatte der mir helfen könnte, hatte ich diesen jetzt gefunden – den Mann von der Nachtschicht! Zu ihm sagte ich „Komm wir müssen sehen, dass wir oben auf dem Boden die Brandmauer nass spritzen“. Das haben wir dann auch getan weil zu erwarten war, dass der Brand auf unser Haus übergreift. Die nicht gezündeten Brandbomben habe ich zum Dachfenster heraus geworfen und in den Wohnungen die Gardinen herunter gerissen. Korbmöbel, die noch in den Wohnungen standen, habe ich zum Fenster hinaus geworfen. Scheiben und Türfüllungen waren keine mehr vorhanden, so dass zu erwarten war, dass auch unser Haus wegbrennen musste. Von einer Frau habe ich am übernächsten Tag gehört, ob es notwendig war die Gardinen herunter zu reißen. Aber wir haben unser Haus dadurch retten können. Es war das einzige Haus was stehen geblieben ist. Nummer 3, 4 und 5 waren ausgebrannt. Das sind meine Erlebnisse vom 13.Februar 1945.
Ursula und Heinz Wünsche