Anlässlich des 75. Jahrestages der Zerstörung Dresdens durch alliierte Terrorbomber beteiligten sich am 15. Februar bis zu 2000 Teilnehmer aus Deutschland, Frankreich, Serbien, Irland, Italien, Ungarn, der Tschechischen Republik, Finnland, Schweden, Bulgarien, Russland, der Ukraine, Großbritanien, den USA und weiterer Nationen am Dresden-Gedenken 2020. Durch die Innenstadt bewegte sich der Gedenkmarsch in Richtung des sich bei den Bombardierungen 1945 im Zentrum der Angriffe befindlichen Hauptbahnhofes, der mit seiner tragischen Historie und dem ungezählten Leid unter dem alliierten Bombenhagel seit jenen Februartagen eines der erschütternden Symbole für die gezielte Flächenbombardierung ziviler Gebiete im Zuge der so genannten „Area Bombing Directive“ ist.
„…Hastig, sich überstürzend und gegenseitig behindernd, sucht die Menge nach Ausgängen. Aus dem Gewirr der Gänge drängen immer mehr Verzweifelte heran, Rettung suchend. Gas und Wasser beginnen auszuströmen. Die Atemluft wird immer knapper und Erstickungsgefühle beängstigen uns mehr und mehr…
…Man stösst, schubst, drängt weiter. Schreie, Stürze, rücksichtsloses Weitertrampeln über die am Boden Liegenden. In welche Richtung sollen wir uns in diesem Chaos wenden? Die Türen ins Freie sind inzwischen von Gebäudetrümmern verschüttet und nicht mehr passierbar. Endlich gelingt es einigen mit uns eingeschlossenen Soldaten, einen Notausgang in unserer Nähe freizulegen. Dieser gibt den Blick frei auf ein heulendes und brausendes Flammenmeer – ein brüllender Feuerorkan.
Vom Treppengitter tropft glühendes Eisen. Ein sogenannter ‚Zeitzünder‘, eine noch nicht detonierte Bombe, ist auf den Treppenaufgang niedergegangen, liegt vor uns als fürchterliche Bedrohung.
Blankes Entsetzen packt alle. Niemand hat den Mut, sich aus dem vermeintlichen Schutz des Kellers hinauszubegeben. Dort kann uns nur der sichere Tod erwarten.
Die Soldaten brüllen: ‚Raus hier, sonst sind wir alle verloren. Hier werden wir alle ersticken!‘
Die Menge schreckt vor dem draussen tobenden Inferno zurück. Frauen mit ihren Kindern und Alte wagen sicht rotz ihrer Todesangst nicht hinaus in die atemberaubende Hitze, bleiben, wo sie sind, und wissen nicht, wofür sie sich in diesem Augenblick entschieden haben. Sie wissen nicht, dass der entstehende Sauerstoffmangel und die immer stärker ausströmenden Gase ihnen allen zum Verhängnis wird und alle Zurückbleibenden in diesen Gängen dem Tode geweiht sind.
Es scheint unmöglich, durch dieses Flammenmeer hindurchzukommen. Wir Kinder gehorchen blindlings den Befehlen der Soldaten, die die Gefahr erkennen – das sollte unsere Rettung sein. So werden auch unsere anderen Mitschülerinnen aus dem Notausgang herausgezogen. Im Freien werden sie vom wirbelnden Feuersturm durch das Innere der glühenden Stadt bis auf die Elbwiesen getrieben, wo bereits Tausende Schutz suchten. Andere werden durch die Wucht des Orkans an Orte geschleudert, die sie später nicht mehr lokalisieren können, irgendwohin – im Lauf die Füsse kaum den Boden berührend, stolpernd, fallend, keuchend, verzweifelt kleine Brände auf Kleidung und Haut ausschlagend…“
So beschreibt Zeitzeugin Gertrud Rogge in ihrem Buch „Brandmale“ ihre Erlebnisse während der ersten und zweiten Angriffswelle am Dresdner Hauptbahnhof.
Jene, welche sich auch in diesem Jahr auf der anderen Seite versammelt haben, schreien, brüllen, pfreifen unterdessen, fordern auf Transparenten, hinter denen hasserfüllte Fratzen hervorblitzen, unverholen „Bomber Harris, do it again“, die nochmalige Zerstörung der Elbmetropole, in deren Straßen dereinst ihre eigenen Großeltern Schutz suchend in den Bombenkellern saßen, oder auf den in der Feuersbrunst glühenden Straßen ziellos umherirrten.
Unbeeindruckt dieser unverholenen Verunglimpfung der Dresdner Bombentoten, für welche es auch 75. Jahre nach dem Untergang Dresdens kein angemessenes Denkmal gibt, bewegte sich der Gedenkmarsch bedächtig und aufrecht seinem Ziel am Hauptbahnhof entgegen. Voran ein Fahnenmeer aus ganz Europa.
Bei der Abschlusskundgebung, welche mit dem Verlesen von Namen zerstörter deutscher Städte eröffnet wurde und deren zentralen Mittelpunkt ein angemessenes Gedenken bildete, sprachen Vertreter aus Ungarn und Bulgarien. Doch auch Abgeordnete aus Nationen der ehemaligen Kriegsgegner, wie den USA und Großbritanien kamen zu Wort. So ging auch zum 75. Jahrestag der Zerstörung Dresdnes ein Zeichen der Verständigung zwischen den Völkern vom diesjährigen Dresden-Gedenken aus. Der Brite und von 2009 bis 2014 Abgeordneter des Europäischen Parlamentes, Nick Griffin, machte in diesem Zusammenhang deutlich:
Liebe Kameraden, Brüder und Schwestern!
Zunächst möchte ich mich bei den Organisatoren dieser historischen Demonstration bedanken, mich eingeladen zu haben, den Sohn eines britischen Veteranen des zweiten Weltkrieges und Enkel eines Veteranen des Ersten Weltkrieges, um auf dieser großen Gedenkveranstaltung anlässlich der schrecklichsten Tragödie zu sprechen, die aus den Händen der Briten und ihrer Verbündeten zwischen 1939 und 1947 über das deutsche Volk gekommen ist..
…Im Krieg gibt es immer Schuld. Immer Schuld, auf allen Seiten. Die Verlierer sind mit mehr Schuld belastet als real vorhanden, während die Sieger der Schuld entgehen, die sie verdienen. Das gilt sicherlich für beide Weltkriege.
Schuld kann man aber nicht erben. Schuld, ob durch Lügen und Propaganda übertrieben oder durch Ignoranz und rosarote Brillen minimiert, stirbt mit den Beteiligten. Was bedeutet, dass die größte Ungerechtigkeit des Zweiten Weltkriegs darin besteht, dass auch heute noch – Generationen nach all seinen Verbrechen und Tragödien – eine drückende Last von Schuld und Wiedergutmachungszahlungen auf eine weitere Generation von Deutschen ausgeübt wird.
Deshalb habe ich für die jungen Deutschen von heute folgende Botschaft: Heben Sie den Kopf, denn Sie haben nichts, wofür Sie sich aus der Vergangenheit schuldig fühlen müssen. Die einzige Schuld, die Euch junge Deutsche treffen kann, ist, wenn Ihr zulasst, dass die Geschichten der Vergangenheit Euren Geist brechen, sodass Ihr die Pflicht, Euer Land, seine Freiheit und seine Menschen in der Zukunft zu lieben und zu schützen, nicht erfüllt.
Ebenso ist es mir, meinen vier Kindern oder meinen acht Enkeln nicht möglich, die Schuld für das zu tragen, was die britischen und amerikanischen Terroristen vor 75 Jahren Dresden angetan haben. Aber es ist möglich, es ist nur menschlich, sich zu schämen.Und heute, vor den Nachkommen der deutschen Überlebenden dieser schrecklichen Zeit, schäme ich mich für das, was mein Volk Ihnen angetan hat, als es absichtlich eine unverteidigte Stadt voller Flüchtlinge auslöschte.
Aber wir können nicht auf Scham aufbauen, wir können nicht immer über unsere Schultern auf die Geister der Geschichte blicken, ob sie nun real oder eingebildet sind.
Wir müssen nach vorne schauen……lassen Sie uns hier und jetzt in diesem ultimativen Symbol für die Tragödie des Krieges zwischen befreundeten Völkern feststellen, dass wir nie wieder den Weg zum Bruderkrieg gehen werden…
Nie mehr Bruderkrieg!“
Und so lassen auch im Jahr 2020, 75. Jahre nach dem Untergang Dresdens, aufrechte Menschen den Ruf nachhallen:
„Vergesst niemals Dresden!“
* Weitere Bilder folgen